Ratingen: Ein peinlicher Besuch

Als Vorsitzender der AfD-Fraktion in Ratingen ist mir der Umgang mit den Kollegen der anderen Parteien nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Sind wir uns doch gegenseitig in herzlicher Abneigung verbunden. Die durch Ratsarbeit unabdingbaren gemeinsamen Pflichttermine sind für unsereins fast immer eine quälende Zumutung. Aber manchmal gibt es doch erquickliches: So etwa der prominente Besuch der Delegation aus unserer chinesischen Partnerstadt Huishan am ersten dieses Monates.

Die Ratinger Stadtspitze war augenscheinlich wenig erbaut, als sich diese Stippvisite ankündigte. Gilt doch in diesen Zeiten für deutsche Politiker jeder Kontakt zu China und Chinesen als toxisch, möglicherweise sogar karrieregefährdend. Aber man kann die Partnerstadt ja nicht einfach so ausladen.  Und so wollte der Bürgermeister zunächst die ungeliebte Gastgeberpflicht an seinen ersten Beigeordneten delegieren. Der bat dann mit diesen Worten um parteiübergreifenden Beistand:

im Rahmen einer Europareise stattet eine Delegation unseres chinesischen Partnerdistrikts Huishan auch Ratingen einen kurzen Besuch ab. Ich werde die Gruppe am Samstag, 1. Juni, 16 Uhr in Vertretung des Bürgermeisters im Rathaus begrüßen. Vorgesehen ist, neben einer kurzen Sightseeing-Einlage Rathaus/Marktplatz, ein formeller Gedankenaustausch im Sitzungssaal des Rathauses.

 Die Delegation besteht aus

 Mr.Cheng Song, Mayor of Huishan District People’s Government
Mr.Hua Maobo, Office Director of Huishan District People’s Government
Mr.Shen Weiliang, Deputy Director of Huishan Economic Development Zone Management Committee
Mr.Chen Haibin, Director of the Bureau of Commerce of Huishan District
Mr.Zhang Renhong, Mayor of Luoshe Town, Huishan District
Mr.Zhang Minfeng, Director of Yanqiao Sub-district, Huishan District,

 ist mithin also hochkarätig besetzt. Da Huishan trotz aller aktuellen Turbulenzen im allgemeinen Verhältnis zu China immer noch unsere Partnerstadt ist, würde ich es für protokollarisch angemessen halten, die Begegnung auch von unserer Seite aus adäquat zu gewichten. – Ich würde mich daher sehr freuen, wenn Sie mich am Samstag, 1. Juni, durch Ihre Teilnahme entsprechend unterstützen könnten.

Ohne Bedenken sagte ich sofort zu. Einfach aus Neugier, wie das wohl ablaufen würde. – Und so fanden sich am besagten Samstag nach und nach neben dem Bürgermeister die Ratinger Herren (Damen war nicht dabei) auf der überdachten Fläche vor der Rathauskantine ein. Zwischendurch hatte es eine Programmänderung gegeben: „Nach einem Empfang der Delegation um 16 Uhr vor dem Rathaus ab ca. 16:15 Uhr ein gemeinsames Essen in der oberen Etage des „Bürgerhauses“ am Marktplatz“.

Wer aber zunächst nicht kam, das waren unsere Gäste. Der Griff zum Handy: Aha, die Chinesen machen gerade Bekanntschaft mit den deutschen Verkehrsverhältnissen. Der übliche Stau aus Richtung Köln. Es wird noch dauern. Und so nutzte unsere Truppe eine kurze Regenpause um sich schon mal in Richtung Bürgerhaus zu begeben und dort im großen Saal Platz einzunehmen. Dann, endlich, mit etwa einstündiger Verspätung, traf die Delegation ein. Fröhlich und gut gelaunt. Keine Spur von einem steifen protokollarischen Zeremoniell. Die Platzaufteilung am Tisch wurde neu vergeben. Man saß sich gegenüber: Die Ratinger auf der einen, die Gäste auf der anderen Seite. Ich hatte den Vorzug, direkt bei den beiden Damen der chinesischen Delegation zu sitzen. Angenehm: Alle unsere Gäste sprachen akzeptables Englisch; keine Probleme mit der Konversation.  Nach dem höflichen Austausch der gegenseitigen Begrüßungen durch die beiden Bürgermeister, unterstützt durch einen deutschsprachigen Dolmetscher,  gab es erstmal eine Filmvorführung: Huishan stellte sich vor. Die Industrie, die Technik, die Menschen, die Stadt, die Architektur, die Natur.  Dazu als Handout für jeden einen aufwändig gestalteten Prospekt! Alles vom Feinsten und hypermodern. Warum buhlen die überhaupt noch um deutsche Investitionen? Verglichen mit denen sind wir doch Entwicklungsland! Wir können doch bestenfalls von denen profitieren, nicht umgekehrt!

Apropos Profit: Die Gäste hatten Geschenke mitgebracht: Eine aufwändig gestaltete Seidenmalerei für die Stadt sowie für jeden von uns Ratingern einen niedlichen Glücksbringer in einem roten Kästchen. Nett! Die Stimmung am Tisch wurde immer besser. Beherzt griffen auch alle unsere Gäste zum Bierglas; nur der Chauffeur musste sich mit Mineralwasser begnügen. Bier gehöre zu ihren Lieblingsgetränken, so offenbarten sich mir meine Sitznachbarn. Prima, sagte ich, dann könnten sie in München, der nächsten Station auf ihrer Europareise, ja richtig zulangen. Auch Vorfreude gibt gute Laune. Ach ja, vorher hatten die Chinesen auf ihrem Europa-Tripp sowohl Paris als auch Lyon besucht.  Es sei ihre erste Reise nach Europa, erzählten sie mir.  – Inzwischen wurde aufgetischt: Zunächst belegte Schnittchen als Vorspeise. Besorgt erkundigte man sich, ob die Mettbrote wirklich mit rohem Fleisch belegt sind um dann zunächst skeptisch, später aber doch beherzt zuzugreifen. Der Hauptgang wurde rustikal: Gegrillte Schweinshaxe mit Kotelett,  Würsten und Bratkartoffeln.  Erstaunlich: Genau das traf den Geschmack unserer Gäste. Auch das leckerste, nämlich die krustige Schwarte, wurde mit Appetit verzehrt.Die Laune wurde immer besser. Die Chinesen hatten selbstgemachten „Wein“ mitgebracht, „Fiftythree Degree“, wie uns versichert wurde.  Das passte natürlich zum Altbier. Nach asiatischer Sitte gebietet es die reine Höflichkeit mit jedem anzustoßen.  Hier war Durchhaltevermögen gefragt.

Aber die größte Überraschung: Ausnahmslos alle unsere Gäste sind verrückt nach Fußball. Kichernd zeigte die junge Dame neben mir auf ihrem Handy ein Fußballerbild nach dem anderen: Ob ich den oder den kennen? Meist musste ich passen: Fußball ist eben nicht gerade meine ganz große Leidenschaft. Erstaunlicherweise schwärmte meine Sitznachbarin von Jogi Löw. Da konnte ich natürlich wieder mitreden. Zu guter Letzt erzählte sie von ihrer Mutter: Die sei ein ganz großer Fan von Christiano Ronaldo.   Diese Seite chinesischer Leidenschaften war mir bislang verborgen.

Es lag wohl auch am Fußball, dass unsere Gäste um kurz nach acht plötzlich aufbrachen. Denn um neun begann ja das Champions League Spiel Real gegen Borussia. Da wollten sie keinesfalls versäumen und rechtzeitig im Hotel sein. Fast überschwänglich,  schon mit etwas schwerer Zunge, nahm man Abschied voneinander.

Fazit: Ein rundherum erbauliches Erlebnis. Die Gäste aus dem Reich der Mitte hatten sich von ihrer besten Seite gezeigt.  Der Stadt blieb es aber doch peinlich. Erst nach ein paar Tagen kam eine dürre Pressemitteilung. In der Zeitung sucht man bis heute vergebens nach einem Bericht über den Besuch.

Ach so: Zum 750-jährigen Stadtjubiläum 2026 wurde eine Einladung an unsere Partnerstadt ausgesprochen. Lassen wir uns überraschen.

(Das obige Gruppenbild  wurde vom Dolmetscher der chinesischen Delegation freundlicherweise übermittelt und vom Ersten Beigeordneten Patrick Anders weitergeleitet)

 

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