Eine lobenswerte Tradition in Ratingen: Die alljährliche Gedenkfeier zu Ehren der Opfer des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 in der „DDR“. Wie immer am Gedenkstein an der Nordseite des alten Rathauses. Der Bürgermeister hatte eingeladen, gekommen waren nur etwa dreißig Zuhörer, die im Carré die Ansprache des Stadtoberhauptes verfolgten. Diesmal lag so etwas wie Abschiedsstimmung in der Luft: Es sollte die letzte Rede des noch amtierenden Bürgermeisters zu diesem Anlass sein. Wer nun glaubt, dass die Honoratioren der Stadtgesellschaft dem Bürgermeister und den Opfern von damals vollzählig die Referenz erwiesen hätten, der irrt: Die Bürgermeisterkandidaten von Rot, Grün und Bürgerunion glänzten durch Abwesenheit. Dagegen hielten die Chefs der örtlichen Polizei und der Feuerwehr korrekt gekleidet in voller Uniform tapfer die Stellung bei etwa 28 Grad Außentemperatur. Der Bürgermeister, der völlig frei und ohne schriftliches Konzept redete, spann einen weiten Bogen vom Volksauftand in der DDR über zu der Volkserhebung in Ungarn 1956 bis hin zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Den Menschen, die damals Leib und Leben in riskierten, ginge es nicht nur um die Verbesserung der prekären Lebensverhältnisse unter diktatorischen Regimen. Der Kampf um Freiheitsrechte, die Wiedergewinnung der eigenen Souveränität gegenüber der Unterdrückung von innen und außen war ein tieferer Beweggrund. Aus der historischen Erfahrung heraus haben die Menschen, die einst jenseits des Eisernen Vorhangs eingepfercht waren, eben ein besonders feines Gespür für Bedrohungen der wiedergewonnenen Freiheitsrechte. Man hätte ergänzen können: Unsere Landsleute im Osten, die ihrer staatlichen Propagandamaschine von jeher misstrauten, wollen einfach keine neue DDR 2.0. Und an die Stelle der einst vom Regime als „Antifaschistischer Schutzwall“ gepriesenen Einengung der Bewegungsfreiheit ist heute die virtuelle „Brandmauer“ getreten. Aber soweit wollte der Bürgermeister doch nicht in seiner Ansprache gehen. Aber denen, die seiner Rede aufmerksam zu hörten, muss sich dieser Gedankengang von selbst erschlossen haben.